Ein kleiner Leitfaden ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Objektivität für alle, die gerne zum ersten Mal eine Slam-Bühne stürmen wollen, aber nicht wissen, wo sie anfangen sollen.
Lust, an einem Poetry Slam teilzunehmen?
Wunderbar! Herzlich willkommen! Poetry Slam ist eine Veranstaltungsform, welche davon lebt, dass immer wieder neue Menschen hinzustossen und frischen Wind in die Szene bringen. Wenn Du also das Gefühl hast: «Das kann ich auch!» Oder: «Vielleicht kann ich das auch!» Oder auch nur: «Ich kann das sicherlich nicht, aber ich will es trotzdem versuchen!»
Ja dann, dann bist Du am richtigen Ort! Für diesen Leitfaden gehe ich davon aus, dass Du grundsätzlich mit dem Ablauf und den Regeln eines Poetry Slams vertraut bist.
Falls dies nicht der Fall ist, würde ich Dir stark den Besuch eines Poetry Slams empfehlen, bevor Du selbst daran teilnimmst. Poetry Slam Veranstaltungen in deiner Nähe findest Du auf https://poetryslam.ch/events/. Dafür filterst Du am besten einfach nach «Region» und «Slammer*innen gesucht».
Falls Du nächstens keine Live-Show besuchen kannst, findest Du zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Leitfadens auf youtube.com ganze Poetry Slam Abende zum Nachschauen. Mit ein wenig Google-Fu wirst Du sicherlich fündig werden.
Und solltest Du lieber die Regeln ganz altmodisch lesen wollen, findest Du diese hier: https://poetryslam.ch/regeln/
Die vermaledeite Logistik
Noch bevor Du deine ersten zwei Texte schreibst, solltest Du dir Gedanken darüber machen, an welchem Slam Du diese überhaupt vortragen wirst.
Stöbere also auf https://poetryslam.ch/events/ und finde einen Slam, welcher mit «Slammer*innen gesucht» gekennzeichnet ist und frage die Veranstalter*in, ob Du auftreten darfst. (Auch hierzu kannst Du wieder die tolle Filterfunktion anwenden.)
Nun höre ich Dich, Leser*in, rufen: «Aber unbekannter Autor dieses Leitfadens, soll ich nicht zuerst zwei Texte schreiben und mich dann anmelden?»
NEIN! Auf gar keinen Fall. Nichts bringt die kreativen Säfte so sehr zum Fliessen, wie eine drohende Deadline! Und nichts lässt Dich mehr eine Anmeldung herausschieben wie zwei Texte, die vielleicht noch ein kleines bisschen besser werden müssen, bevor ich mich dann zu einem Slam anmelde.
Natürlich wäre es grossartig, an deinem ersten Slam gleich zu brillieren. Für einige wenige Menschen wird dies auch tatsächlich der Fall sein. Jedoch gilt für die Mehrheit:
«Probieren geht über studieren.»
Nur wer überhaupt mal mit selbstgeschriebenen Texten auf der Bühne stand, weiss ob Poetry Slam etwas ist, was einem Spass macht.
Und nur ein Auftritt vor einem Publikum, welches nicht nur aus Eltern und Freunden besteht, lässt Dich erst die Stärken und Schwächen deiner Texte und deiner Performances erkennen.
Darum nochmals: Hopp hopp! Geh Dich anmelden!
Erledigt?
Sehr gut!
Dann machen wir uns ans Schreiben.
Das Schreiben und das «Warum?»
So, die Deadline ist rot im Kalender eingetragen und der Timer auf der kreativen Bombe tickt die Frage in den Raum: «Wie schreibt man eigentlich einen Poetry Slam-Text?»
Jedoch ist das die falsche Frage. Denn es gibt nicht den einen Poetry Slam-Text. Poetry Slam ist keine gewöhnliche Lesung. Es werden Texte vorgetragen, die speziell für eine Bühnensituation geschrieben worden sind, mit dem Ziel, die Menschen im Publikum zu erreichen und zu begeistern.
Die richtigen Fragen lauten also eher: «Warum möchtest Du überhaupt an einem Poetry Slam teilnehmen? Was ist Dein Ziel, welches Du dabei verfolgst? Was möchtest Du einem Publikum mitteilen? Soll das Publikum viel lachen? Soll es Freude an deiner Wortakrobatik haben? Sind es absurde Alltagsszenen, die Du unbedingt weitererzählen möchtest? Möchtest Du mit Lautmalerei Bilder in die Köpfe der Anwesenden zaubern? Oder vielleicht Deine politische Message auf pointierte Weise vermitteln?»
Egal wie deine Antwort lautet: Das «Warum?» führt zum «Wie!»
Das «Wie!»
Du hast dein «Warum?» gefunden? Wunderbar! Du bist schon einen beträchtlichen Schritt näher an deinem Ziel, zwei Texte für deinen ersten Slam zu verfassen.
Kommen wir also zum «Wie!».
Bereit?
Okay, hier ist der beste Tipp, den ich Dir geben kann: Fang einfach an!
So einfach und doch so schwierig, doch leider gibt es keinen Weg ums Schreiben rum.
Zum Glück gibt es aber ein paar Möglichkeiten, sich den Einstieg ins Schreiben zu erleichtern.
Bevor Du dich ans Schreiben Deines Textes machst, schreib erstmal alles auf, was Dir zu deinem Thema einfällt:
Mach Mindmaps, schreib Deine persönlichen Erfahrungen dazu auf, tippe in der Suchmaschine Deiner Wahl Dein Thema ein und lies, was andere dazu verfasst haben, notiere Dir passende Sprichwörter und Redewendungen, überlege Dir was das Gegenteil von Deinem Thema sein könnte und schreib dazu alles auf.
Stell Dir selber Fragen wie: Gibt es passende Metaphern? Was für Wortspiele gibt es zu deinem Thema? Wenn Du nur einen Satz zur Verfügung hättest, wie würde der lauten? Wenn Du nur drei Sätze zur Verfügung hättest, wie würden diese lauten? Fünf Sätze?
All Deine Recherche, Dein Sammeln hilft Dir anschliessend beim Schreiben deines Textes, nicht ein leeres Blatt anstarren zu müssen, sondern lassen Dich schon mal auf Gedanken zurückgreifen. Wie eine Malerin, die zuerst ihre Farben richtet, bevor sie mit der Arbeit beginnt oder ein Koch, welcher seine Zutaten vorbereitet, hilft es auch beim kreativen Prozess, nicht von Null beginnen zu müssen.
Ein weiterer Tipp lautet: «Gib Dir Zeit!»
Erwarte nicht, dass Du Deinen Text in einem Rutsch herunterschreibst. Klar, kann dies passieren, aber es ist absolut normal, dass eine erste Textfassung über Tage, ja sogar Wochen entsteht und diese nochmals über mehrere Textauftritte verfeinert wird.
Das Feedback
Wenn du eine erste Version deines Slam-Textes geschrieben hast, ist dieser damit nicht beendet. Du kannst ihn überarbeiten, indem du neue Ideen einbringst, gewisse Stellen umformulierst oder streichst.
Für die Überarbeitung kannst du dich an folgenden Aufgaben orientieren:
- Lies Dir den Text laut vor. Hat es komplizierte und/oder holprige Stellen, die Du umschreiben kannst? Hast Du alles erzählt, was Du erzählen möchtest?
- Stoppe beim Vortragen die Zeit. Ist der Text zu kurz: Was könntest Du nocherzählen? Ist der Text zu lang: Welche Stellen könntest Du kürzen?
- Hat der Text einen roten Faden? Hat der Text einen spannenden Anfang? Fühlt sich das Ende wie ein richtiger Schluss an?
Wenn du mit deinem Text zufrieden bist, dann lies jemandem dem Du vertraust deinen Text vor und frage nach Feedback. Die andere Person kann sich für das Feedback an folgenden Fragen orientieren:
- Welche Reaktionen und Emotionen löst der Text aus?
- Hat der Text einen roten Faden? Ist er logisch aufgebaut?
- Besitzt der Text einen packenden Anfang und einen interessanten Schluss?
- Was könnte man noch ändern/hinzufügen, damit der Text noch besser wird?
- Was war die Botschaft des Textes? Um was ging es der vortragenden Person?
Versuche deinen Text während des Feedbacks nicht zu verteidigen oder zu erklären. Hör zu, nimm das Feedback an und entscheide Dich anschliessend, welche Teile des Feedbacks für Dich Sinn ergeben und welche nicht und schreibe deinen Text allenfalls nochmals um.
Alles nach dem Schreiben
So, deine zwei Texte stehen und dein erster Auftritt rückt langsam aber sicher näher. Es gibt zwei Dinge, die jetzt noch zwischen Dir und einem erfolgreichen Ablauf stehen können. Das Üben deiner Performances und ein weiterer Schuss guter alter Logistik.
Die vermaledeite Logistik: Part II – The Return of the Logistik
Auf der Bühne sind – neben deiner Performance – zwei Dinge wichtig: Der richtige Umgang mit dem Mikrofon und dein Textmedium.
Das Mikrofon und Du
Dir hier den richtigen Umgang mit dem Mikrofon beizubringen, würde leider den Rahmen dieses Leitfadens sprengen. Jedoch bin ich mir sicher, dass wenn Du die Veranstalter*innen deines ersten Slams nett vorher per Mail fragst, werden sie Dir sicherlich kurz zeigen, wie man den Mikrofonständer einstellt und Dir vor der Show ein paar Minuten geben, um deine Text vielleicht ein, zwei Mal mit aktiver Soundanlage zu proben. Falls Du Angst hast, dass Dir das Adrenalin einen Strich durch die Rechnung machen wird und das richtige Einstellen des Mikrofonständers ein weiterer Stressfaktor ist, bitte die Moderator*in darum, Dir das Mikrofon einzustellen.
Das Textblatt und Du
Falls Du Zugang zu einem Drucker hast, dann empfehle ich Dir stark, deine Texte auszudrucken. Und zwar in einer Schriftgrösse, die es Dir erlaubt, deine Texte auch unter schwierigen Lichtbedingungen zu lesen. Klar sollten Dich die Veranstalter*innen idealerweise immer im besten Licht darstellen, aber nicht immer ist das möglich. Gerade wenn es sich um Open Air Shows handelt, kann es gut sein, dass gerade mal ein Scheinwerfer vorhanden ist, der dein Textblatt nur dürftig erhellt. It’s better to be safe than sorry!
Falls Du Angst hast, dass deine Hände zu sehr zittern werden, dann überlege Dir, dir ein Klemmbrett zuzutun. Das Gewicht des Klemmbretts wird verhindern, dass sich das Zittern deiner Hände auf das Textblatt überträgt und Dir das Ablesen erleichtern.
Falls Du keinen Drucker hast, empfehle ich Dir stark, deine Texte auszudrucken. Ja, Du hast richtig gelesen. Auch falls Du im Besitz eines Tablets oder eines Smartphones bist, würde ich es Dir stark ans Herz legen, auf das gute alte Papier zu setzen. Es geht nicht mal darum, dass Papier viele Vorteile hätte, es hat im Vergleich zu digitalen Geräten einfach viel weniger Nachteile.
Ein Stück Papier muss nicht mit Strom versorgt werden oder stürzt im dümmsten Moment ab. Hingegen kann Dir ein Stück Papier herunterfallen und es funktioniert danach immer noch. Es ist (je nachdem) weniger Anfällig gegenüber einer verschütteten Tasse Kaffee und anderen Flüssigkeiten, man kann sich beim Vorlesen nicht verscrollen oder aus Versehen auf die nächste Seite springen.
Ebenso befindet sich dein Text auf einem Stück Papier immer an der gleichen Stelle, was beim Performen hilft, denn wenn man beim Lesen immer wieder Blickkontakt mit dem Publikum herstellen möchte, weiss man irgendwann, wo auf dem Blatt sich die einzelnen Stellen des Textes befinden und dein Auge wird ganz automatisch auf die korrekte Stelle im Text zurückspringen. Auch wirst Du nach einer gewissen Zeit in der Lage sein, umzublättern, ohne auf das Textblatt sehen zu müssen.
Und der grösste Vorteil überhaupt: Hast Du deinen Text vor dem Betreten der Bühne in der Hand, ist er auf der Bühne immer noch da. Keine Gefahr, dass die Datei nicht lädt. Keine Gefahr, dass die Datei aus Versehen gelöscht wurde. Klar ist diese Gefahr klein, aber ich habe es schon erlebt, dass eine Slammerin auf der Bühne ihren Text auf dem Handy nicht laden konnte und sie die Bühne nach nur zwei Minuten und unverrichteter Dinge verlassen musste. Warum also die Gefahr überhaupt eingehen?
Auswendig oder nicht?
Okay, Du hast deinen Text ausgedruckt, was nun? Du hast jetzt die Möglichkeit den Text entweder auswendig zu lernen oder beim Slam vorzulesen.
Falls Dich der Gedanke einen Text auswendig zu performen stresst, würde ich Dir für das erste Mal empfehlen, den Text einfach vorzulesen. Falls Du schon Theatererfahrung oder ähnlich hast, kannst Du den Text natürlich auch auswendig vortragen.
Natürlich ist es auch eine Möglichkeit, den Text auswendig zu lernen und das Textblatt beim Performen trotzdem dabei zu haben. Je nach Textart, speziell bei Geschichten, kann es aber sogar von Nachteil sein, den Text auswendig zu machen, da wir es uns als Publikum nicht gewöhnt sind, dass solche Texte vorgelesen werden. Gedichte hingegen werden meistens aufgewertet, werden sie auswendig vorgetragen. Was für deine Texte passt, kannst natürlich nur Du entscheiden. Vielleicht gewinnen sie sogar dazu, wenn Du genau das machst, was man bei der Art von Text nicht erwartet.
Texte auswendig zu performen hat den grossen Vorteil, dass Du dich theoretisch mehr auf deine Performance konzentrieren kannst. Ebenfalls wird Dich das Publikum als präsenter wahrnehmen, da zwischen Dir und ihnen keine Barriere ist, auch wenn es sich dabei nur um ein Textblatt handelt.
Egal, ob Du deine Texte auswendig lernst oder nicht, kommen wir zu der Performance.
Üben, üben, üben…
Das erste Ziel deiner Performance ist Textsicherheit. Die Worte sollten locker von deiner Zunge rollen. Versprecher auf der Bühne lassen sich natürlich nie komplett vermeiden, aber der Grund dafür sollte nicht mangelnde Vorbereitung sein. Lies deine Texte also so oft laut vor, bis Du das Gefühl hast, diese auch unter erschwerten Bedingungen, sprich bei Nervosität und unvertrauter Umgebung, vortragen zu können.
Du kannst Dir dabei auch schon Gedanken machen, wie Du was sagen möchtest. In Dialogen kannst Du den verschiedenen Menschen unterschiedliche Stimmen verleihen. Du kannst dein Sprechtempo variieren, deine Lautstärke verändern, Pausen einbauen.
Falls Du dir nicht sicher bist, kannst Du deine Texte so lange auf verschiedene Arten vortragen, bis Du etwas gefunden hast, was Dir stimmig erscheint. Lies deinen Text ein Mal wütend vor, dann traurig, dann hocherfreut, dann mit tiefer Stimme, dann mich gequetschter Stimme. Versetze Dich in verschiedene Charaktere: Wie würde eine Nachrichtensprecherin deinen Text vorlesen? Wie würde ein Wrestler deine Sätze betonen? Eine Politikerin? Ein Fussballmoderator?
Achte dabei dabei immer darazf: Was fühlt sich wann richtig an?
Nicht nur hilft Dir das, deiner Performance neue Facetten abzuringen, Du wiederholst nebenbei auch deine Texte ohne dass es langweilig wird und gewinnst an Textsicherheit. (Während der Erarbeitung der Performance und des Übens kann es durchaus zu Anpassungen am Text kommen, was absolut normal und sogar wünschenswert ist.)
Falls Du immer noch verloren bist und nicht weisst, wie Du performen sollst, dann hol Dir Inspiration aus dem Internet. Schaue Dir so viele unterschiedliche Slammer*innen an wie Du kannst und picke Dir heraus, was Dir am besten gefällt und zu deinen Texten passend erscheint.
Und falls das immer noch nicht geholfen hat, dann erinnere Dich bitte daran: Gib Dir Zeit! Es ist absolut in Ordnung Dich auf der Bühne zuerst einmal auf den Text zu konzentrieren und deinen Stil und deine Performances auf der Bühne zu entdecken.
Zum Abschluss
Ich hoffe, dieser Leitfaden hat Dir ein wenig geholfen, deine ersten Poetry Slam Schritte anzugehen. Vergiss nicht bei deinen Auftritten mit den anderen Slammer*innen in Kontakt zu treten. Frag nach Feedback, zeig ehrliches Interesse und hab eine tolle Zeit!
Ich wünsche Dir viel Spass auf den Slambühnen, die die Welt bedeuten.