Von der Bühne ins Internet: «Online-Slams sind Chance und Herausforderung»

Von der Bühne ins Internet: «Online-Slams sind Chance und Herausforderung»

So langsam tauchen mit den Lockerungen durch den Bund nach dem Lockdown wieder die ersten Veranstaltungen auf, so auch Poetry Slams. Für Kunst- und Kulturschaffende war der Wegfall jeglicher Events ein herber Schlag. Doch die Szene wurde auch kreativ und man hat gewisse Slams online stattfinden lassen. Valerio Moser, Spoken Word Poet, Moderator und Kabarettist, hat – nach anfänglicher Unsicherheit, die überall herrschte – die Coronazeit genutzt, um solche Online-Formate auszuprobieren.

«Neues anreissen mit aktuellen Möglichkeiten»

«Als der Lockdown kam, stand eine grosse Unsicherheit im Raum. Im ersten Moment dachte ich ‚Shit, alles fällt aus, was macht man da?‘ Ich lebe von Shows und Workshops, das heisst aus dem Nichts habe ich all meine Engagements verloren, von denen ich lebe», sagt Valerio.

Er meint, er habe das Glück, einen Charakterzug zu haben, der ihn in einer neuen Situation kreativ werden lässt. «Relativ schnell kam bei mir auf, etwas Neues anzureissen mit den Vorraussetzungen, die ich habe. Darüber bin ich froh, das können nicht alle und viele Künstler*innen hatten sehr zu kämpfen, was nachvollziehbar ist», sagt Valerio.

«Fehler sind der Reiz an Liveshows»

Er habe aber als gelernter Informatiker schon immer eine Affinität zum Technischen gehabt und er wollte sich schon länger mit der Video-Thematik auseinandersetzen – zuvor fehlte ihm schlicht die Zeit dazu. «Ich hatte dann relativ rasch Ideen für Web- und Streaming-Sachen und wollte das unbedingt ausprobieren», so der Bühnenpoet. Das hat er getan, indem er die ausgefallene Dichterschlacht in Biel gemeinsam mit Tina Messer online umsetzte

Die Dichterschlacht war eine komplette Liveübertragung, was natürlich auch technische Hürden und Störungen mit sich brachte. «Grundsätzlich finde ich, Fehler sind der Reiz an Liveshows, so werden sie zu etwas Einmaligem. Auch beim Streamen war das so, es gibt Tücken und Pannen. Damit muss man aber umgehen und es ist auch ein magischer Moment, wenn eine Panne dann zum Gag wird», sagt Valerio.

«Schade wenn ein guter Text nicht gehört wird»

Gehe etwas daneben, müsse man beim nächsten Mal etwas anderes probieren. Von Woche zu Woche, so Valerio, habe man Fortschritte gemacht und die Handhabung der Programme war Teil dieses Lernprozesses. «Beim Physical Distance Slam haben wir dann nur die Moderation live gemacht, weil wir fanden, es ist schade, wenn die Ton- und Videoqualität der Slammenden von deren Internetverbindung abhängig ist. Deshalb konnten sie uns ihre Videos im Vorfeld schicken», sagt er.

Denn bei der Liveübertragung der Dichterschlacht sei es vorgekommen, dass der Ton nicht gut war oder das Bild gewackelt hat – im schlimmsten Fall ist die Verbindung abgebrochen. «Es ist schade, wenn man wegen der Technik einen guten Text nicht hören konnte»

Spannend, Online-Möglichkeiten zu nutzen

Er sagt, ein Format, das normalerweise auf der Bühne stattfindet, ist nicht 1:1 im Internet umsetzbar. «Dann ist es das Gleiche, einfach schlechter.» Er ist überzeugt, man müsse mit der neuen Umgebung spielen und in das Konzept integrieren. Es gilt, Abstimmungstools zu finden und auch bildtechnisch etwas zu schaffen.

«Pesche und ich hatten beispielweise gleiche Elemente im Wohnzimmer. Es sind die kleinen Dinge, die auch stimmen müssen. Auch die Interaktion mit dem Onlinepublikum in der Kommentarspalte war für uns wichtig», sagt Valerio. Liveauftritte, so sagt er, machen zwar viel mehr Spass, aber es sei spannend gewesen, die Online-Möglichkeiten zu nutzen.

«Da kann auch viel Schönes passieren. Ich habe bei ‚Streamen für Bier‘ mitgewirkt, das auf der Bühne ‚Lesen für Bier heisst‘. Dort lesen Poet*innen die Texte von jemandem aus dem Publikum und wenn die Performance besser war als der Text, erhält der Poet ein Bier oder umgekehrt. Deshalb gibt es dort vor allem lustige Performances. Online war das anders», sagt Valerio. So habe man im Stream auch schöne Texte gelesen, da der Kampf zwischen Poet*in und Text nicht mehr habe stattfinden müssen. «Es waren viele lyrische Texte darunter, das war schön.»

Virtuelle Kollekte: anonym davongeschlichen

Die Bühne kann im Internet nicht ersetzt werden aber, so Valerio, man könne mit neuen Elementen spielen und sich mit der Technik vertraut machen. An die Stimmung von einem Live-Slam komme man aber nicht heran – das Klatschen in den Kommentaren hört man schliesslich nicht. Auch finanziell habe sich das nicht immer gelohnt.

«Bei der Dichterschlacht hatten wir noch das Budget, das wir immer haben, dort haben wir die Gagen normal bezahlen können. Bei den vier Durchführungen des Physical Distance Slams gab es kein Budget», sagt Valerio. Die Zuschauerinnen und Zuschauer hätten im Anschluss online spenden können, von 80 haben das aber nur 20 gemacht.

«Wir konnten zwar Gagen zahlen, gerechnet hat sich das aber nicht. Es geht nicht darum, dass alle ‚Eintritt‘ bezahlen, aber wenn die Texte gefallen, wäre es eine schöne Wertschätzung», sagt Valerio. Bei der virtuellen Kollekte könne man sich anonym davonschleichen, die Lösung wäre virtueller Eintritt – da bezahlt man zuerst und kann erst danach in den Stream.

«Ich fand aber gerade bei neuen Formaten, die auch ein bisschen ein Experiment waren, den offenen Charakter wichtig, deswegen haben wir das so gemacht. Das die Kollekte trotz guten Zuschauendenzahlen nicht so hoch ausfiel, war aber auch nicht überraschend. Bei Bühnenveranstaltungen auf Kollektenbasis ist das genau gleich. Wenn man den Leuten den Spendentopf nicht vor die Nase streckt, kommt da oft auch nicht so viel zusammen.», sagt Valerio.

«Die Videos ergäben ein schönes Archiv»

Das sei ein Nachteil, Online-Slams bieten aber auch viele Vorteile. «Die Reichweite ist grösser und mehr Menschen werden angesprochen – so können auch jene, die nicht so mobil sind, dabei sein. Ausserdem gibt es eine grössere Beständigkeit, da die Slams noch immer online zu sehen sind», sagt Valerio. Die Videos, die er von den Slammer*innen erhalten habe, würden sich gut eignen, um online gestellt zu werden.

«Wenn ich sie dafür verwenden darf, gäbe das ein schönes Archiv. Es gibt einige Veranstaltenden, die ihre Slams schon aufzeichnen, das ist toll.» Er sagt, beim Slam seien die Texte eher kurzweilig, nach einigen Jahren gehe vergessen, welcher Text damals voll durch die Decke ging. «Beim Rap feiern wir die Oldschool-Kultur, beim Slam verpufft das meiste bislang im Nichts. Das ist schade», sagt Valerio. Solche Online-Varianten könne man aufgreifen, weiterdenken und womöglich auch gewinnbringende Elemente darin finden. «Es hätte eine nachhaltige Qualität, Slamtexte als Video zu sichern», sagt der Slampoet.

«Es wäre gut, alles aufzuarbeiten»

Online, das sei eine Chance wie auch eine Herausforderung. Nun aber wagt sich Valerio dann aber auch bald wieder vom Internet auf die Bühne, die Auftritte starten langsam wieder. «Bühnenauftritte habe ich schon sehr vermisst. Aber mir hat es auch gefehlt, Workshops zu geben – es ist schön, den jüngeren beim Texten zu helfen. Das hat mir in der Coronazeit sehr gefehlt», sagt Valerio.

Er sagt aber auch, er habe es genossen, so viel Zeit zu haben und damit auch die Kapazität Neues auszuprobieren. «Ich möchte auch künftig Zeit freihalten, um mich mit Neuem zu beschäftigen», sagt er. Reflektiert er die Zeit, sei es ihm meist gut gegangen, das sei aber längst nicht bei allen Poet*innen so. «Nicht alle haben gute Unterstützung vom Bund erhalten, es gab unterschiedliche Schicksale. Mit einigen Slammer*innen hatte ich den Austausch, ich denke aber, es wäre gut, in der Szene alles aufzuarbeiten und versuchen herauszufinden, welche Gemeinsamkeiten es gab und wie man künftig gute Strukturen schaffen kann, um solche Krisen zu bewältigen», sagt Valerio.

Seine Reflexion hat nun in einem gemeinsamen Programm mit Dominik Muheim Platz gefunden. In «E Härde Vire» kann das Publikum all die Stimmungen und Gedanken der beiden durchleben. «Man vergisst ja schnell, wie sich was wann angefühlt hat. Es ist ein schöner Rückblick auf eine aufwühlende Zeit», sagt Valerio. Er sei gespannt, wie das ankomme, aber auf jeden Fall freut es ihn, wieder eine «unsichere Lust aufzutreten» zu haben.

Eines will er den Leuten noch auf den Weg geben: Wenn man Kunstschaffende gut findet, so könne man sie jetzt wieder unterstützen, in dem man an deren Auftritte geht oder deren Bücher kauft – selbstverständlich unter Einhaltung der Weisungen des Bundes. 

 

Text:Stefanie Rohner

Foto: Chris Iseli